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Das Innere erotisch aufgeladen, doch die Partnersuche ist unerotisch?

Dieser Tage las ich von einer Sichtweise, die zwar nicht völlig neu, aber äußerst bemerkenswert ist.

Lange Zeit, so scheint es jedenfalls den Verbreitern dieser Meinung, war die Atmosphäre der Begegnungsorte erotisch aufgeladen, die Personen waren es aber nicht. Als Beispiel wird angeführt:

Meine Mutter zum Beispiel wuchs in einer mittelgroßen pfälzischen Stadt auf. Damals gab es dort ein Boulevard, auf dem junge Menschen promenierten, um neugierig Ausschau zu halten und sich verstohlene Blicke zuzuwerfen. Nur auf diesem – ich sage wertfrei «Kuppel-Boulevard» – konnten sich Herzen finden. Andere Orte zum Anbändeln gab es nicht, oder es wäre unmoralisch gewesen, diese aufzusuchen. Dank dieser Exklusivität war die Partnersuche verdichtet, und auch erotisch aufgeladen.

Damals, ach … damals

Die Zeit, die hier beschworen wird, liegt allerdings schon so lange zurück, dass ich selbst ich mit meinem Elefantengedächtnis keine Erinnerung an derartige Orte habe – sie gab es einfach nicht. Es ist aber möglich, dass es Flanierstraßen („Jungfernstieg“) dieser Art nach dem Zusammenbruch der bürgerlichen Gesellschaftsordnung (1918) bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gab. Etliche Paare sagen aber aus, dass sie sich in den damals üblichen Tanzlokalen kennengelernt hatten, obgleich eine „Tanzbodenbekanntschaft“ von vielen bürgerlichen Eltern eher naserümpfend betrachtet wurde. Ich halte dennoch für zutreffend, dass die meisten Orte, an denen man sich „damals“ kennenlernen konnte, von einer leichten bis intensiven erotischen Atmosphäre geprägt waren. Das gilt natürlich insbesondere für die verschiedenen Formen der Tanzlokale, in denen man sich üblicherweise am Mittwoch, Freitag oder Samstag fand.

Doch was sagt uns das alles? Offenbar kann man sich:

1. Am erotischen Ort in erotischer Absicht treffen.
2. Am erotischen Ort in (zunächst) unerotischer Absicht treffen.
3. Am unerotischen Ort in erotischer Absicht treffen.
4. Am unerotischen Ort in unerotischer Absicht treffen.

Wie eigentlich immer zeigen solche logischen Verknüpfungen einen Weg, die Wahrheit zu finden. Und die ist nicht ganz einfach.

Nehmen wir zunächst die Meinung von Ursula März, der Autorin von «Für eine Nacht oder ein ganzes Leben», erschienen im Hanser Verlag, 2015.

Aber gerade weil die Liebe eigentlich an jedem beliebigen Ort ihren Anfang nehmen kann, ist das Ganze unromantisch: Es herrscht eine erotische Unterspannung.

Das würde also heißen: Die Menschen lernten sich heute am nicht-erotischen Ort kennen, und deshalb entstünde keine erotische Spannung. Der unerotische Ort, die unerotische Absicht.

Der „erotische Ort“ und die „erotische Spannung“

Ich halte für erstaunlich, dass eine erotische Spannung nur (oder jedenfalls überwiegend) an einem erotischen Ort aufgebaut werden kann, und dass daraus auch noch eine gewisse Romantik erwachsen soll. Wie soll das gehen? Auf einer Matratzenparty? Beim „Ball der einsamen Herzen“? Mit einem Escort-Girl in einem Liebeshotel? Das wäre dann die Situation: am erotischen Ort in erotischer Absicht.

Widerspruch gegen erotisch-romantische Vorstellungen

Ich widerspreche all dem. Die erotische Spannung kommt nicht aus der Umgebung, sondern wird vom neuen Paar selber aufgebaut. Das ist im Grunde schon lange so, seit Keller-Partys oder das enge, anschmiegende Tanzen nicht mehr üblich ist. Und weil dies so ist, lernt sich das moderne Paar bereits seit Jahrzehnten in einer „unerotischen“ Atmosphäre kennen.

Dates – erotisch, unerotisch oder was denn nun?

Was beim Online-Dating hinzukommt, ist die unterschiedliche Wahrnehmung des Treffens. Grundsätzlich haben alle „Treffen zum Zweck des Kennenlernens“ („Dates“) eine unerotische und eine erotische Komponente. Von Frauen wird ja immer wieder die unsägliche Behauptung aufgestellt, zu einem Date „ohne erotische Absichten“ zu gehen. Das wäre ungefähr so, als würde man zu einem Vorstellungsgespräch ohne die Absicht des Geldverdienens gehen. Beim Vorstellungsgespräch spricht man über Aufgaben und die Fähigkeiten und die Möglichkeit, sie für die Tätigkeit auch anwenden zu können. Der Wunsch nach einem Einkommen ist aber selbstverständlichen vorhanden. Beim Date mag man über seine Entwicklung, seine Hobbys und Einstellungen sprechen. Aber Liebe, Lust und Leidenschaft sind die Triebfedern, um überhaupt eine Verabredung wahrzunehmen.

Was wäre mit den anderen beiden Möglichkeiten?

Man könnte sich in erotischer Absicht am unerotischen Ort treffen – das geschieht vielfach bei bewussten Verabredungen zu einem ONS oder einer Affäre. Frauen beklagen oft, dass Männer beim Date (unerotischer Ort) ausschließlich erotische Absichten haben, was gelegentlich zutrifft – freilich inzwischen auch häufig umgekehrte oder beidseitig.

Und sich am erotischen Ort in unerotischer Absicht zu treffen? Immerhin – bei den Möglichkeiten, die erotische Orte bieten, könnet sich die anfängliche Unentschlossenheit in erotische Gelüste verwandeln. Doch dieses Gebiet gehört heute ausschließlich zum erotischen Kommerz – sprich: Rotlicht-Distrikt und Nepp-Bars.

Fazit: Zu kurz gedacht

Was bleibt also übrig von der Meinung, das heutige Kennenlernen sei unerotisch oder unromantisch? Ich denke, nicht sehr viel. Denn es sind fast ausschließlich Frauen, und ihnen auch nur emotional zurückgewandte. die ihren Mädchenfantasien von der romantischen Liebe nachhängen und diese idealisieren. Auch die Umformulierung von „romantisch“ in „erotisch“ ist dabei wenig hilfreich. „Kennenlernen“ ist immer ein vielschichtiger und zudem sehr individueller Prozess, und er kann nicht mit einer Floskel abgetan werden.

Ursula März: «Für eine Nacht oder ein ganzes Leben», Hanser Verlag, 2015.
Zitat aus: srf, ch

http://www.srf.ch/kultur/literatur/was-machen-dating-plattformen-mit-der-liebe

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